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Absolutes Gehör

Jemand mit einem absoluten Gehör (engl. perfect Pitch) kann einen gespielten Ton, etwa ein a' benennen ohne Bezugsspunkt, oder auch spontan einen geforderten Ton, etwa ein c', singen. Viele Leute haben ein mehr oder weniger gutes relatives Gehör, dh sie können von einem gespielten Ton, etwa c' ein e' herleiten. Das absolute Gehör ist viel weniger verbreitet. Doch die Meinungen über das absolute Gehör gehen weit auseinander, besonders über die Frage, wieviel Prozent der Menschen dieses besitzen. Es gibt eben kein Entweder-Oder.

Wieviele Leute können denn tanzen? Diese Frage kann man total verschieden beantworten, je nachdem, wie hoch man die Messlatte setzt. Das gilt auch beim absoluten Gehör. Jemand kann vielleicht einigermaßen angeben, in welchem Bereich ein Ton liegt, eine andere kann zuverlässig jeden Ton bis auf wenige Cent genau bestimmen. Wo ist da die Grenze? Deshalb gehen auch die Angaben über die Häufigkeit stark auseinander. Manche Quellen sprechen von 0,01 %, andere von 5%. Und wie jede Fähigkeit, muss das absolute Gehör auch gepflegt werden. Wenn jemand 50 Jahre in einer schwarz-weiss-Welt lebt, wird er danach wohl auch das Farbsehen nicht mehr gut beherrschen.

Vergleich mit Farben: Da besitzen die meisten Menschen das "Absolute Auge", dh. das Auge kann ohne weiteres erkennen: das ist hellblau, olivgrün oder rosarot, auch wenn wir nicht für jede Nuance einen Namen haben (andere Sprachen haben mehr oder andere Bezeichnungen). Aber während das Ohr mehrere gleichzeitig gespielte Töne, etwa einen Dreiklang, ohne weiteres trennen kann, kann das Auge keine Zusammensetzung einer Farbe sehen:

zusammengesetzte Farbe Diese Farbe können wir gut beschreiben, auch wenn wir keinen präzisen Namen haben. Aber wir können nicht sagen, wie sie zusammengesetzt ist 4 Farben

Aus diesen 4 Bestandteilen setzt sich die obere Farbe zusammen. Ebenso ist umstritten, wie weit das absolute Gehör erlernt werden kann. Früher meinte man, diese Fähigkeit sei angeboren und könne nicht trainiert werden. Das scheint wiederlegt zu sein, wenigsten in einem bestimmten Zeitfenster nach der Geburt. Gewisse Quellen sagen, dass alle Kinder damit geboren wurden, es aber dann wieder verlernt hätten. Und zwar werde das absolute Gehör nur benötigt, um die Sprache zu erlernen, nachher werde es als überflüssig wieder fallen gelassen. Fest steht, dass in Ton-Sprachen wie Chinesisch oder vielen afrikanischen Sprachen, wo eine Silbe je nach Tonhöhe verschiedene Bedeutungen haben kann, viel mehr Leute absolut hören. Es soll auch gewisse Tierarten mit einer Form des absoluten Hörens geben: die Blauwale, Wölfe und gewisse Vögel. Damit können sie Beute oder Partner besser erkennen.

Miles DavisVom Jazztrompeter Miles Davis (1926-1991) geht die Legende um, dass er einst in Streit mit einem Verkehrspolizisten geriet. Dieser wollte ihn bei einer Fahrzeugkontrolle büßen, weil der Tachometer defekt war. Vergeblich versuchte Miles den Polizisten zu überzeugen, dass er keinen Tachometer brauche, da er mit seinem absoluten Gehör am Motorengeräusch genau erkenne, wie schell er fuhr.

Ist absolutes Gehör für Musiker/innen wichtig? Das absolute Gehör ist zwar eine nützliche Fähigkeit für Musiker und Komponistinnen, aber nicht unbedingt eine Voraussetzung für musikalisches Talent oder Kreativität.

Komponisten wie Mozart, Beethoven und Chopin sollen das absolute Gehör gehabt haben, hingegen Schumann, Debussy oder Stravinski nicht.

Viel wichtiger scheint ein gutes relatives Gehör zu sein. Jedenfalls wird im Musikunterricht selten darauf eingegangen, in meiner eigenen Studienzeit war das absolute Gehör nie ein Thema.

Gibt es auch genetische Faktoren für das absolute Gehör?
Gemäß pmc.ncbi.nlm.nih.gov wurde bei europäischen Testpersonen auf Chromosom 8 ein Gen gefunden



Hat das absolute Gehör auch Nachteile? Ja, z. Bsp. soll es Schwierikeiten geben, wenn in einer nicht-Standard-Stimmung gespielt wird, oder es stört übermäßig, wenn der Chor mit der Zeit ein bisschen absinkt.

Zitat aus musikmachen.de/blog "Das absolute Gehör wird gerne zu einer genialischen Begabung überhöht. Dabei hat es in der musikalischen Realität selten praktischen Nutzen. Insbesondere in der westlichen Musik, die auf Intervallen – Tonabständen – aufgebaut ist, scheint das relative Hören weitaus wichtiger. Ob der abbremsende Zug mit einem Dis oder einem Fis quietscht, ist kaum ausschlaggebend. Ob der Teekessel in C oder D pfeift, ändert nichts an der Tatsache, dass das Wasser kocht."