Wir haben gesehen, dass unsere Diatonische Skala die Einzige ist, die sich auf natürliche Art von den Obertönen ableiten lässt. Die Töne lassen sich allenfalls leicht modifizieren durch glissando, vibrato, portamento, Verziehen der Saite bei der Gitarre und Ähnlichem. Zum Beispiel werden im traditionellen Blues die Moll- und Dur-Terz gerne vermischt, und aus der Sexte wird durch Verziehen der Saite eine kleine Sept. Auch in den Tonsystemen exotischer traditioneller Musik Skalen wird davon Gebrauch gemacht. Trotzdem wird dabei kaum von Viertel-oder Dritteltonmusik gesprochen. Schon in der Renaissance wurden Tasteninstrumente mit 19 Tasten pro Oktave gebaut. Diese dienten aber nicht dazu, neue Intervalle zu erzeugen, sondern um die Reinheit der bestehenden, mitteltönigen Stimmung zu verbessern.
Richtige Versuche gibt es dann im 18. und 19. Jahrhundert, das System der 12 Halbtöne pro Oktave zu durchbrechen:
Charles de Lusse (1723-1774)
Fromental Halévy (1799-1862)
Ferruccio Busoni (1866-1924)
Charles Edward Ives (1874- 1954).
Neuere Versuche alternativer Skalen gibt es zuhauf. Seit dem Aufkommen elektronischer Instrumente schwanden auch die Hürden, diese Systeme tatsächlich umzusetzen. Aber wirklich durchgesetzt haben sie sich nicht. Die Oktave kann als Rahmen bleiben oder auch nicht.
Hier kannst du die Bohlen-Pierce-Skala selber ausprobieren. Am besten auf einem Touch-Screen, damit du auch Akkorde spielen kannst:
Die Bohlen-Pierce Skala enthält keine Oktaven, keine Ganz- und Halbtöne, keine Quarten. Doch sie hat (verstimmte) Quinten und Terzen.
Seit dem Computerzeitalter ist es möglich, alle nur erdenklichen Skalen zu produzieren. Trotzdem hat sich nie ein System breit durchgesetzt.
Ein Problem von künstlichen Skalen sehe ich in der Verwechselbarkeit mit bekannten Intervallen. Das Ohr versucht eben immer, konsonante Intervalle zu erkennen oder zurechtzubiegen. So wird etwa ein Intervall von einer Quinte plus Viertelton als verstimmte Quinte empfunden:
Und mit natürlichen Instrumenten und besonders auch der Stimme, sind künstliche Skalen problematisch, da sie immer ganzzahlige Obertöne enthalten, die sich mit unharmonischen Tönen reiben. Interessant wäre zu wissen, ob es Leute gibt, die etwa Melodien im Bohlen-Pierce-System singen können. Ich weiß es nicht, wahrscheinlich schon.
Eine andere Skala mit einer gewissen Verbreitung ist die Drittelton-Skala. Auf der folgenden Tastatur kannst du diese ausprobieren:
Jürg Hochweber