Grundlegend ist die Tatsache, dass wir einfache Schwingungsverhältnisse als wohklingend empfinden, sowohl im Miteinander als im Hintereinander. Das wird mit der reinen Stimmung optimal erfüllt, solange wenig Tonartwechsel vorkommen. Für A-capella-Chöre und Streich-Ensembles, die sich theoretisch den Tonartwechseln anpassen können, wäre es die ideale Stimmung. Doch sie hat auch ihre Tücken. Sie wird seit etwa 1450 beschrieben, wenngleich sie wohl schon früher unbewusst von Gesangs-Ensembles benutzt wurde.
Die reine Skala, hier ab dem Ton c, wird so konstruiert:
c | d | e | f | g | a | h | c | |
Verhältnis zu c | 1:1 | 8:9 | 4:5 | 3:4 | 2:3 | 3:5 | 8:15 | 1:2 |
≈Cent-Betrag zum nächsten Ton | 204 | 182 | 112 | 204 | 182 | 204 | 112 | |
Verhältnis zu nächstem Ton | 8:9 | 9:10 | 15:16 | 8:9 | 9:10 | 8:9 | 15:16 | 1:2 |
Klar sind jetzt alle Schwingungsverhältnisse zum Grundton möglichst einfach. Wie steht es aber mit den andern Tönen untereinander? Eine Überprüfung zeigt: wir haben Glück. Nehmen wir zum Beispiel das Intervall g - h. Um zu überprüfen, ob das wirklich eine reine Terz ist, müssen wir das Verhältnis von g:c ), also 2:3 mit dem Kehrwert von h:c, also 15:8 multiplizieren.
Also 2⁄3 × 15⁄8 = 30⁄24
was tatsächlich gekürzt 5⁄4 ergibt, eine reine große Terz.
Auf diese Weise kann man alle Intervalle überprüfen und findet die erwarteten Konsonanzen, doch mit einer Ausnahme:
Das Intervall d - a ist keine reine Quint!
Was auffällt sind zwei Arten von Ganztönen: ein großer(204 cent, 8:9) und ein kleiner (182 cent, 9:10) Ganzton. Sie unterscheiden sich um das sogenannte syntonische Komma, das ist 9⁄10 × 9⁄8 = 81⁄80 , das sind ca. 21,5 cent.
syntonisches Komma zwischen a' = 440 Hz und 445,5 Hz (21,5 cent) |
rein | pythagoreisch | gleichstufig | mitteltönig |
Trotz den reinen Intervallen, kann für manche Leute die reine Stimmung sogar falsch klingen, weil sie so sehr an die gleichstufige Stimmung gewöhnt sind. Einige finden diese hingegen Stimmung wunderschön, andere steril. Die meisten merken jedoch keinen Unterschied.
Wie gesagt ist die Quinte d - a nicht rein. Sie errechnet sich aus 3⁄5 × 9⁄8 = 27⁄40 , das sind 680,45 cent, also ca. 21 cent weniger als die reine Quint mit 702 cent. Analog ist die Quarte a - d' etwa 21 cent größer.
Betrachten wir folgende Akkordfolge:
Nehmen wir an, ein Gesangstrio möchste diese Akkordfolge möglichst rein spielen (singen). Da das d in der (eben doch nicht so) "reinen" Stimmung im Dm-Akkord zu hoch ist, würde die 1.Stimme dieses d wohl nach unten korrigieren (um ein Komma). Aber logischerweise würde die 1. Stimme das folgende d im G-Akkord so belassen, es scheint ja der gleiche Ton zu sein. Darauf werden sich die beiden andern Stimmen wieder der 1.Stimme anpassen. Deshalb sinkt das Trio in der Folge ein bisschen ab. Wenn so eine Passage mehrmals vorkommt, kann das zu einem beträchtlichen Absinken des Trios führen.
Um das zu verhindern, muss die 1.Stimme das zweite d wieder um ein Komma höher intonieren, oder muss ein unschönes erstes d in Kauf nehmen.
Spiel mit unreinem d im Dm | Spiel mit korrigiertem d im Dm und wieder erhöhtem d im G. Kein Absinken! | Spiel mit korrigiertem d im Dm und so belassenem d im G. Absinken des Trios! | 3 mal wiederholt mit Absinken. Am Schluss nochmal ursprüngl. C-Akkord. |
Die Kommafalle ist besonders bei Chören schon lange bekannt. Sie ist nicht die einzige Tücke der reinen Stimmung, bei Modulationen kommt es zu vielen ähnlichen Problemen.