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Es herrscht eine Riesenverwirrung rund um die Bezeichnung Kirchentonarten oder Modi (Einzahl: Modus. Englisch: mode). In den einschlägigen Internetforen wird viel gefragt und darüber eifrig diskutiert, und es ist beinahe erheiternd, was da alles an Halbwissen gepostet wird. Die meisten Rock-und Pop-Lehrgänge behandeln diese Skalen, beschränken sich aber auf reines Skalen-Fingertraining und erklären wenig bis nichts.
Schon die mittelalterlichen Theoretiker hielten irrtümlicherweise dorisch, lydisch etc. für Skalen aus dem antiken Griechenland, wo diese Begriffe tatsächlich vorkommen, aber etwas anderes bedeuteten (geht angeblich zurück auf ein Missverständnis bei Boethius im 6. J.H). Über die Musik der alten Griechen wissen wir nur wenig, ein bisschen Philosophisches und Mathematisches, kaum etwas aus der Praxis (siehe de.wikipedia.org/wiki/Musiktheorie_im_antiken_Griechenland).
Ferner suggeriert die Bezeichnung 'Kirchentonarten' , dass es sich um
Tonarten wie G-Dur oder F-Dur handelt, obwohl eigentlich Tongeschlechter
gemeint sind wie Dur und Moll. Doch auch das stimmt nur bedingt, da die
Kirchentonarten in der Renaissance und früher eher durch Tonumfang
(Ambitus), bestimmte Melodiewendungen und emotionalen Gehalt definiert
wurden, und offenbar mehr als didaktisches Modell gedacht war und nicht als
etwas, das in der Praxis in reiner Form vorkam. Das ist heute nicht anders:
als gründliche Technikschulung sind die Modi, wie ich die Kirchentonarten
lieber nennen will, sicher prima, aber in der Praxis gibt’s wenig
Kompositionen, die klar einem bestimmten Modus zugeordnet werden können. Die
ganze Sache ist und war schon immer schlecht dokumentiert.
Es gibt auch
keinen Grund für den Namen Kichentonarten, diese wurden und werden nicht
speziell in der Kirche gespielt.
Wenn man von dorisch, phrygisch etc. spricht, müsste man streng genommen unterscheiden, in welchem Sinn man es meint, ob:
als altgriechische Bezeichnung im Sinne der mittelalterlichen Theoretiker als didaktisches Modell, um Skalen zu trainieren im Sinn von Pop, Rock, Jazz |
Ich behandle jetzt die einzelnen Modi, wie sie heute in der populären Musik gebraucht werden, und wir werden sehen, dass sich damit doch einiges machen lässt, das auch für den Unterricht interessant ist, Akkordfolgen zum Improvisieren zum Beispiel oder auch reines Akkordspiel.
Ich beschränke mich im wesentlichen auf die Skalen ohne Vorzeichen, natürlich kann auch alles transponiert werden.
Die Skalen sind schnell erklärt: Sie unterscheiden sich nur dadurch von C-Dur, dass ein anderer Ton als Grundton empfunden wird.
Namen | Töne | Grundakkord | auffallender Ton |
Dorisch | d e f g a h c d | Dm | h dorische Sexte |
Phrygisch | e f g a h c d e | Em, (E) | f kleine Sekunde |
Lydisch | f g a h c d e f | F | h übermäßige Quart |
Mixolydisch | g a h c d e f g | G | f (nicht Leitton fis) |
Äolisch (= reines Moll) | a h c d e f g a | Am | g (nicht Leitton gis) |
Lokrisch | h c d e f g a h | (Hm5-) | f (vermind.Quinte) |
Ionisch (= Dur) | c d e f g a h c | C |
Auch der Akkordvorrat besteht bei allen Modi im Wesentlichen aus den
Grundstufen C, Dm, Em, F, G, Am. Wie kann ich also aus dem Tonvorrat c d e f
g a h c etwa g zum Grundton machen. Der Schlusston allein kann's wohl kaum
ausmachen, nein es sind eigentlich die zugrunde liegenden Akkordfolgen, die
den Unterschied zwischen den Modi ausmachen. Innerhalb einer Melodie lässt
sich kaum feststellen, in welchem Modus sie steht, da der Grundton nicht
einmal besonders betont sein muss. Zunächst einmal eine Begriffsklärung:
modal – tonikal.
Das sind zwar beides unklare Begriffe.
Wir
verwenden aber hier tonikal für alles, was an das klassische Dur und Moll
erinnert und modal für alles andere,
was eben an Modi erinnert.
(anstatt 'tonikal' wird auch 'tonal' verwendet, ist aber irreführend, da 'tonal' vor allem als Gegenstück zu 'atonal' verwendet wird)
Typisch für tonikal sind:
Dominant-Tonika-Beziehungen (also etwa G7-C) , Leittöne, Septakkorde, Umkehrungen der Akkorde,
Akkordfolgen im Gegen-Uhrzeigersinn des Quintenzirkels (z.B. Am - Dm - G7 –
C).
Wenn wir modale Akkordfolgen bilden wollen, müssen wir also
Septakkorde und Umkehrungen eher vermeiden und wenig Leittonwirkungen aufkommen
lassen. Um z.B. g-Mixolydisch zu erhalten, genügt es nicht, mit G zu beginnen
und zu enden, da unsere Hörgewohnheiten immer tendieren, uns an Dur und Moll
zu orientieren. Das Dur-Moll-System, oder eben tonikale Musik war ja in den letzten 400 Jahren vorherrschend.
Die Schwierigkeit ist, das Mixolydisch von C-Dur abzugrenzen, das g als Grundton ist eher unstabil. Im obigen Beispiel sind die Folgen G - Dm sowie Dm - Am sind gut zu gebrauchen, da sie in C-Dur eher selten sind. Nirgends könnte hier G als Dominante aufgefasst werden und ausser Am -Dm gibt es keine Fortschreitungen im Gegen-Uhrzeigersinn des Quintenzirkels. Die rhythmische und formale Gliederung unterstreicht die Rolle des letzten G-Dur-Akkordes als Grundakkord noch zusätzlich. (Quintenparallelen wie im Wechsel G - F sind im heutigen Gebrauch durchaus üblich).
Kann man noch weitere Akkorde ausser den Grundstufen bringen? Tatsächlich sind die Möglichkeiten beschränkt. Zwischendominanten wie in Dur und Moll kommen nicht in Frage, da sie sofort als tonikal empfunden würden. Denkbar sind Akkorde wie Bb und Eb:
Nachdem der mixolydische Modus in den ersten zwei Takten gefestigt wird,
kann im Takt 3 schon mal der leiterfremder Akkord Bb kommen, der an die
Blue-Notes erinnert. Auch hier bestimmt die Form klar, dass G und nicht etwa C
oder F der Chef ist.
Das folgende Beispiel entfernt sich am Weitesten vom klassischen Vorbild (Quintenparallelen, leiterfremde Töne b und es):
Ein bekanntes Beispiel ist der erste Teil von "Norwegian Wood" von den Beatles:
Und der Anfang von "Sympathies for the Devil" von den Rolling Stones:
Der typische Akkord ist hier G oder genauer der Ton h, der Dorisch von D-Moll
abgrenzt (dort wäre Gm). Insgesamt ist Dorisch stabiler als Mixolydisch, auch
weil uns die Sexte h von melodisch D-Moll vertraut ist.
Beachte im Beispiel,
das im Takt 5 und 7 das Dm in der Quint-Lage steht.
Ein Melodie-Beispiel
ist "What shall we do with the drunken Sailor": Da das h nur einmal (auf unbetontem) Taktteil erscheint, wird es kaum harmonisiert (mit G).
ein weiteres Beispiel wäre "Scarborough Fair".
Lydisch ist in der modernen Betrachtungsweise das Sorgenkind. Welche Akkorde könnten vorkommen?. F müsste ja Grundakkord sein. Aber der Ton h lässt sich einfach nicht in einem Akkord runterbringen. Ein Akkord, der h enthält, drängt unweigerlich nach C-Dur.
Und bei dem folgenden Melodieanfang ist das h kein echter
Skalen-Ton, sondern bloss eine Wechselnote:
Es handelt sich oben um hundsgewöhnliches F-Dur, in der Fortsetzung würde
unweigerlich ein b auftauchen.
Beliebte Folgen wie: F G Bb F C F enthalten zwar den G-Akkord mit dem Ton h, doch wird G eher als Zwischendominante, die sich nicht auflöst, gehört:
Auch die mittelalterlichen, angeblich lydischen Melodien würde man heute als F-Dur bezeichnen, sie enthalten ein b, nicht ein h. Da aber damals kaum transponiert wurde, hatte die Bezeichnung eine gewisse Berechtigung.
Also im modernen Sinn gibt es kein Lydisch, ausser in eher künstlichen
Konstrukten wie:
Wie in harmonisch A-Moll kann auch in Phrygisch das g zu gis erhöht werden, aber g und gis stehen in der Regel nicht unmittelbar nebeneinander.
Während die übrigen Kirchentonarten mit Dur oder Moll fast verschmelzen, hat
das Phrygische mehr Eigenständigkeit. Dafür ist wohl der markante Halbtonschritt
f - e zum Grundton verantwortlich. Manchmal wird auch das d zu dis erhöht, als
Leitton zu e. Anders als bei den andern Modi geht durch den auffallenden Leitton
der modale Charakter nicht verloren. Diese Skala klingt orientalisch und
flamencohaft und erfreut sich auch in der Popmusik grosser Beliebtheit.
Grundakkord kann Em oder E sein, E-Dur ist wohl häufiger, als Schlussakkord steht fast immer E. Eigentlich könnte man
das durchaus als zwei verschiedene Modi betrachten.
Mehr um das System zu vervollständigen wird dieser Modus gelehrt.
Die lokrische Skala hat nur theoretische Bedeutung, praktisch hat sie keine
Eigenständigkeit. Zum Grundton h gehört der verminderte Dreiklang h-d-f , der
aber sicher nie als Grundakkord empfunden wird. Also müsste man das f zu fis
erhöhen. Das ist aber wieder H-Phrygisch.
Allenfalls als lokrisch bezeichnen könnte man Gebilde, die auf mehr oder weniger gleich bleibendem Grundton aufgebaut sind wie:
Das wäre Lokrisch. Aber der Grundton h ist sehr unstabil und möchte eigentlich bei der nächst bietenden Gelegenheit nach e (=> phrygisch) oder c (=> Dur) wechseln. Nur die ständige Wiederholung lässt ihn Grundton bleiben.
Wie steht es nun mit Ionisch, das ja eigentlich unserem Dur entspricht?
Wenn wir die gleichen Prinzipien wie bisher anwenden, lässt sich schon ein gewisser ionischer Charakter erzeugen, der sich vom normalen Dur abhebt:
Typisch für den modalen Charakter ist, dass auf G nicht C oder Am folgt.
Ähnliches gilt für Äolisch, das dem reinen Moll entspricht. Typisch ist die Moll-Dominante Em, obwohl man ja in modaler Musik 'Dominante' lieber nicht sagen sollte.
Typisch für äolisch ist die "Moll-Dominante", hier Em.
Interessant ist, das ausgerechnet Ionisch und Äolisch, also mehr oder weniger
unser Dur und Moll, im Mittelalter nicht bekannt waren, oder wenigstens nicht
benannt wurden. Der Grund ist mir nicht bekannt. Erst der Schweizer Theoretiker
Glarean hat diese beiden Modi im 16. Jahrhundert dem (theoretischen) System
zugefügt.
Heinrich Glarean, der „Glarner“, war Musiker, Musiktheoretiker, Dichter, Lehrer, Philologe, Historiker, Geograph und Mathematiker.
*1488 in Mollis, Kanton Glarus;
† 1563 in Freiburg im Breisgau
Im Mittelalter war der Tonumfang von gesungenen Melodien kaum mehr
als eine Oktave. Wenn die Melodie mehr oder weniger vom Grundton bis
eine Oktave darüber reichte, sprach man von authentischen
Modi, dies sind eben dorisch, phrygisch, lydisch usw.
Wenn der Grundton ungefähr in der Mitte des Melodieumfanges lag, sprach
man von plagalen Modi, dies sind hypodorisch,
hypophrygisch, hypolydisch usw. Im heutigen Gebrauch ist diese
Unterscheidung nicht mehr sinnvoll, da der Umfang wesentlich
größer sein kann.
Wir haben also gesehen, die Modi sind fragile Gebilde, und man könnte gut ohne sie leben, da alle Elemente im weitesten Sinne auch in Dur und Moll erklärbar wären. Nicht umsonst wurden ja die Modi etwa im 17. Jahrhundert aufgegeben oder besser gesagt geschluckt vom Dur-Moll-System. Die Begriffe in neuem Sinne wiederbelebt hat meines Wissens die 'Berkeley School of Music' in den Achtzigerjahren.
Trotzdem bilden die Modi mit den heutigen rhythmischen und klanglichen
Mitteln etwas Eigenes und erstaunlicherweise interessieren sich viele
SchülerInnen für diese Themen. Daher ist es nichts als recht, wenn wir uns als
Lehrkräfte damit befassen.
Jürg Hochweber, August 2007
Artikel erschien im EGTA-CH Bulletin August 07