Der Tristan-Akkord

von Jürg Hochweber

2013 ist Wagnerjahr, am 22. Mai feierte man seinen 200. Geburtstag. Radio- und Fernsehprogramme waren gespickt voll mit Wagneropern, alle Printmedien schrieben ausführliche Artikel, mehrheitlich begeistert von Wagners Musik, aber sehr kritisch gegenüber Wagner als Person.
Da Wagner und Gitarre nicht so recht zusammenpassen, konnten wir nicht so richtig mitfeiern.
Deshalb möchte ich wenigstens den berühmtesten Akkord aus Wagners Werk in Erinnerung rufen, den legendären Tristan-Akkord. Ich nehme an, die Meisten von uns haben sich in der Ausbildung einmal damit herumgeschlagen, aber eine Auffrischung tut allemal gut, besonders da sich die Stelle mit diesem Akkord auf der Gitarre gut spielen lässt, sogar in seiner originalen Form und Tonart. Er erklingt gleich am Anfang von Wagners Oper «Tristan und Isolde».

Tristan-Akkord, Vorkommen

Den fragliche Akkord f‑h‑dis‑gis würde man in der modernen Akkord-Symbolik, die sich wenig um Enharmonik und Umkehrungen schert, als Abm6 oder als Fm7/5- bezeichnen. Er wäre, umgedeutet als f‑ces‑es‑as, leitereigen in Es-Moll (2. Stufe) und im parallelen Ges-Dur (VII. Stufe), also von der Struktur her nichts Besonderes.
Da aber die Grundtonart scheinbar A-Moll ist, wurde viel darüber gestritten, welcher Stufe er angehört, und welche Funktion er hat.
Da nach dem folgenden E7 Akkord eine lange Pause folgt, gibt die Fortsetzung keine Auskunft über die Tonart. Und die folgenden 3 Takte wiederholen das Ganze eine kleine Terz höher.
Wenn man den E7-Akkord umdeutet zu fes‑as‑d‑ces, könnte er (als übermässiger Quintsext-Akkord) gefolgt werden von Ebm. Dann hätten wir, bezogen auf Es-Moll, eine Stufenfolge II-VII-I. Oder noch deutlicher, wenn wir vor der 1- Stufe noch die normale Dominante einfügen:

mögliche Auflösung des Tristan-Akkordes

Aber eben, das ist weit weg von A-Moll.
Deshalb wird häufig argumentiert, der eigentliche Akkord sei nicht f‑h‑dis‑gis, sondern f‑h‑dis‑a, das gis sei als Vorhalt zu betrachten. Dann wäre er als Wechseldominante, mit tiefalteriertem Quintton im Bass, leicht auf A-Moll zu beziehen. Dem steht gegenüber, dass das a nur sehr kurz ist, und deshalb eher als Durchgangston gelten muss. Doch ist auch der E7-Akkord mit dem Vorhaltston ais versehen (hier scheint der Fall eindeutiger) und wir hätten eine Sequenz Vorhalt-Akkord-Vorhalt-Akkord, die mir doch gehörsmässig überzeugend scheint.

Wenn wir den Tristanakkord schon ums Verre... einer Stufe zuordnen müssen, können wir ihn auch als II.Stufe mit erhöhter Terz in A-Moll deuten oder als IV. Stufe mit Sixte ajouté.

Jetzt lese ich auf Wikipedia gerade noch Folgendes: «Eine Möglichkeit besteht in der Deutung (desTristanakkordes) als Doppelleittonklang von E-Dur. Dieser entsteht dadurch, dass im E-Dur-Dreiklang der Grundton e durch die auseinanderstrebenden Leittöne f und dis1 ersetzt werden». Was dadurch geklärt wird, bleibt mir allerdings schleierhaft.
Wahrscheinlich wäre der Tristanakkord nicht so sehr diskutiert worden, wenn Wagner als Person nicht dermassen polarisiert hätte. Es gibt sicher andere Akkorde, die mit gleichem Recht diese Aufmerksamkeit verdient hätten. Vielleicht müssten wir mal einen EGTA-Akkord für die Nachwelt erfinden.

Jürg Hochweber,

August 2013, für die EGTA-CH (European Guitar Teachers Association)

Schüttelverse von Franz Mittler, Wagneriana:

"Die, die vor sich hinbrüllt, das ist die Brünhild."
"Wenn ihr reizen tut den Wotan, künd't er euch voll Wut den Tod an."